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Offensive Tanz

Ein Essay von Dramaturgin Theresa Selter

Wie tanzt man einen Rosengarten?

Poetry & Dance - das große Slam Battle

Eine Veranstaltung der Offensive Tanz zusammen mit und im Theater Strahl, 13.12.24. © René Löffler
„Soll ich tanzen gehen oder lieber im tiefen Gedankental chillen?“

Dieser Satz aus dem Text eine*r Poet*in, vorgetragen bei der Veranstaltung Poetry & Dance – Das große Slam Battle am 13.12.204 auf der Bühne des Theater Strahl, bleibt mir im Gedächtnis hängen. Geht eigentlich auch beides? Wie getrennt sind diese beiden Welten voneinander? Tanz - Ausdruck durch Körper – Emotionalität, die ohne Begriffe auskommt. Worte – Ausdruck durch Sprache – Begreifen, das ohne körperliche Empfindungen auskommt.

Die Finalist*innen. © René Löffler

Ein kleiner Rückblick

In der Kunst sind wir es trotz einer Tendenz zur Öffnung immer noch gewohnt, nach „Sparten“ oder „Kunstrichtungen“ zu trennen. Das hat auch historische Gründe, da jede Kulturpraktik im Laufe der Geschichte ihre eigene Tradition geformt hat:

Dokumentationen von rituellen Tänzen finden sich zum Beispiel schon in indischen Höhlenmalereien, die irgendwann im Zeitraum zwischen 5000 und 2000 v. Chr. entstanden sind. Das Format des Dance Battles wiederum, also von Wettbewerben zwischen Tänzer*innen vor einer Jury, kommt aus der Breakdance Szene der 1970er Jahre in New York und wird heute weltweit praktiziert.

Frühe Aufzeichnungen von Dichtung findet man etwa bei den sumerischen Dichtern im Alten Babylon (ca. 2000–1600 v. Chr.), die am liebsten Spottverse verfassten. Die Veranstaltungsform des Poetry Slams etablierte sich 1986 in Chicago und verbreite sich von da aus in die ganze Welt. Bei der „Dichterschlacht“ werden selbstverfasste Texte innerhalb einer bestimmten Zeit vorgetragen und der/die Sieger*in vom Publikum bestimmt. Übrigens: Die deutschsprachige Poetry-Slam-Szene gilt als eine der größten der Welt.

Volles Haus! © René Löffler

Experimente wagen!

Soweit die „Tradition“. Was aber passiert, wenn sich diese beiden Welten vermischen? Wenn Poetry und Tanz sich in einem einzigen Wettbewerb begegnen? Wie können sie sich gegenseitig bereichern, herausfordern und aus der Komfortzone locken? Genau dieses Experiment hat die Offensive Tanz zusammen mit dem Theater Strahl am 13.12.24 mit einem vollkommen neuen Format gewagt: Poetry & Dance – das große Slam Battle!

Florian Bilbao und Julie Tiepermann führen durch den Abend. © René Löffler

Spontaneität und Mut

Für die Teilnehmenden eine Veranstaltung, die viel Spontaneität und Mut erforderte. Das schreckte sechzehn experimentierfreudige Tänzer*innen und Dichter*innen nicht davon ab, sich auf das Wagnis einzulassen. In vier Runden traten sie in ausgelosten Poetry-Dance-Duos mit immer neuen Aufgabenstellungen gegeneinander an – begleitet von einem Beatboxer, der sie mit maßgeschneiderten Sounds versorgte, einer Expert*innen-Jury, einem Moderator*innen-Team und vor allem: einem begeisterten Publikum, das den Saal bis auf den letzten Winkel füllte.

Was dabei heraus kam, waren unerwartete, komische, absurde, poetische, berührende, ernste und kraftvolle Auftritte, die aus gegenseitiger Inspiration, Spontaneität und großem Einfühlungsvermögen geboren waren.

Denn wie reagiert man tänzerisch auf einen Text über das Altern und die Erinnerung an den Vater im Rosengarten? Und wie auf die Geschichte von einem Käfer im Einwegglas und das Vergehen von Zeit? Wie dichtet man spontan zu einer Tanzperformance mit großen, wütend in den Raum greifenden Bewegungen? Wie lässt sich der Rhythmus von Krumping in Worten einfangen?

Ein Echo im anderen finden

In der Essenz lässt sich sagen, dass es in allen Auftritten der Poetry-Dance-Duos darum ging, ein Echo im anderen zu finden. Um ein Verstehen der anderen Person über verschiedene Ausdrucksformen und Sprachen hinaus. Um Gedanken, Erfahrungen und Emotionen, die sich sowohl in Bewegung als auch in Worten ausdrucken können.

Beatbox, Tanz und Poesie begegnen sich! © René Löffler

Es folgt eine (unvollständige) Sammlung von Eindrücken:

Ein Mann hebt die Arme, macht sich angreifbar, lässt einen Sturm durch sich hindurch wehen. Das Knacken von Ästen im Wald wird in Worten und Lauten spürbar. Wut über die fremden Blicke auf den eigenen Körper wird laut. Ein Lächeln verzerrt sich zu einer grotesken Show. Berührungen erzählen von Sehnsucht nach Zärtlichkeit. Die Amazone von Amazon verliert ihr Gesicht. Ein verwundeter König kriecht zum Thron.

Jetzt muss diesen Bericht nur noch jemand tanzen.

© René Löffler

Eine Produktion von: Offensive Tanz für junges Publikum Berlin, gefördert durch TANZPAKT Stadt-Land-Bund aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie das Land Berlin aus Mitteln der Senatsverwaltung für Kultur und Europa. In Kooperation mit Theater Strahl. Mit freundlicher Unterstützung von Club Oval/Tanzkomplizen.