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Offensive Tanz

Eine Dokumentation zusammengestellt von Elena Basteri und Elisa Ricci

Israel und Palästina besprechbar machen

mit Beiträgen von Agnieszka Habraschka, Ahmad Dakhnous, Johanna Voß, Martina Maria Helmke und eine*m anonyme*n Teilnehmer*in.

Israel und Palästina besprechbar machen: Ein multiperspektivisches Gesprächsformat zum Umgang mit dem Nahostkonflikt für Akteur*innen der Tanzvermittlung. 

Die Veranstaltung hat am 26.11.2024 im Tanzstudio des Podewil in Berlin-Mitte stattgefunden.

Mit Ahmad Dakhnous und Johanna Voß. Anhand von Methoden aus dem Bildungsmaterial Israel-Palästina-Bildungsvideos.

Eine Kooperation zwischen Access Point Tanz, Offensive Tanz für junges Publikum, Tanz Zeit e.V.  Der Workshop wurde als “Relaxte Veranstaltung” organisiert.

Nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 verspüren viele ein großes Bedürfnis, über den israelisch-palästinensischen Konflikt ins Gespräch zu kommen. Auch für Akteur*innen der Tanzvermittlung stellt dies eine besondere Herausforderung dar. In diesem praxisorientierten Workshop lernten die Teilnehmer*innen, wie man zu diesem höchst komplexen Thema offen und respektvoll ins Gespräch mit Kolleg*innen oder Schüler*innen kommen kann. Geleitet von Ahmad Dakhnous und Johanna Voß haben die Teilnehmer*innen ihre eigene Perspektive auf den Israel/Palästina-Konflikt reflektiert und das Diskursfeld in Deutschland analysiert. Die Ausgangsfragen waren: Vor welchem gesellschaftlichen und historischen Hintergrund sprechen wir über Palästina und Israel, und welche Dynamiken prägen diesen Diskurs? Welche Symbole, Begriffe und Slogans tauchen in dieser Debatte häufig auf?

Ziel des Workshops war es, einen Raum für Akteur*innen der Tanzvermittlung zu schaffen, die gemeinsam nach Orientierung in diesem Diskurs suchen und eine menschenrechtsorientierte Haltung entwickeln wollen, mit der sie sich pädagogisch sicher fühlen. Ziel war außerdem, mehr Sicherheit im Umgang mit komplexen und emotional aufgeladenen Diskussionen zu geben sowie praxisnahe Ansätze zur Förderung einer offenen und respektvollen Gesprächskultur zu vermitteln.

Diese Dokumentation sammelt die Beiträge und Perspektiven verschiedener Akteur*innen, die in unterschiedlichen Rollen / Funktionen am Workshop teilgenommen haben:

  1. Agnieszka Habraschka, Access-Beraterin, beschreibt die Voraussetzungen, die implementiert wurden, um den Workshop als „Relaxte Veranstaltung“ zu gestalten.

  2. Ahmad Dakhnous und Johanna Voß, Workshop-Leiter*innen, beantworten einige Fragen zur spezifischen Erfahrung dieses Workshops und dem Wissen, das dabei vermittelt wurde.

  3. Martina Maria Helmke, Community Dance Practitioner, Bildungsreferentin und Teilnehmerin des Workshops, ebenso wie eine weitere teilnehmende Person, die anonym bleiben möchte, erzählen in einem Mini-Interview, was der Workshop ihnen gebracht hat und wie sie dieses Wissen möglicherweise in ihre Praxis als Vermittler*innen integrieren werden.

1. Evaluation „Israel und Palästina besprechbar machen“ als relaxte Veranstaltung

Die Veranstaltung „Israel und Palästina besprechbar machen“ wurde als eine „Relaxte Veranstaltung“ umgesetzt. Relaxte Veranstaltungen orientieren sich am Format der Relaxed Performance und zielen darauf ab, Barrierefreiheit für neurodivergente Menschen, Menschen mit chronischen Krankheiten/Schmerzen und Personen mit unsichtbaren Behinderungen herzustellen. Relaxte Veranstaltungen bieten aber gerade auch bei politisch und emotional aufgeladenen Themen Zugangsmöglichkeiten für alle (auch nicht behinderte) Teilnehmende.

Die Veranstaltung bot verschiedene Sitzmöglichkeiten, die individuell genutzt oder während der laufenden Veranstaltung gewechselt/angepasst wurden. Ein Rückzugsort stand zur Verfügung und wurde aktiv genutzt. Zu Beginn der Veranstaltung wurden traumasensible Körperübungen vorgestellt, diese konnten auf Wunsch der Teilnehmer*innen im Laufe des Workshops wiederholt werden. Stimtoys und Decken lagen an verschiedenen Stellen aus. Stimtoys sind kleine, beruhigende Objekte wie Stressbälle, Knete oder Druckringe, die besonders neurodivergenten Menschen helfen, ihr Nervensystem zu regulieren. Darüber hinaus wurden die Pausen bewusst gestaltet, um ausreichend Erholungsphasen zu bieten. Die Teilnehmenden wurden darauf hingewiesen, dass sie eigenständig Pausen nehmen können. Snacks und Erfrischungen wurden bereitgestellt. Durch vorab klar kommunizierte Inhaltsangaben (Content Notes) wurde sichergestellt, dass die Teilnehmenden auf potenziell schwierige Inhalte vorbereitet sind. Dies ist insbesondere bei emotional aufgeladenen Themen wichtig, um niemand ungewollt zu überfordern oder zu re-traumatisieren.

Körperliche Interventionen wie Stimtoys und traumasensible Übungen (z. B. Tapping oder Atemtechniken) können eine entscheidende Rolle spielen, um in konfliktbeladenen Gesprächen eine körperliche und emotionale Regulation zu fördern, sowie das Nervensystem zu regulieren. Sie können nicht nur helfen, individuelle Anspannung zu reduzieren, sondern auch die kollektive Atmosphäre entspannen und so den Raum für produktive und respektvolle Diskussionen öffnen. Trauma wird im Körper gespeichert und doch findet oft bei Gesprächen zu politisch aufreibenden Themen eine Negation des Körpers oder der Gefühle statt. Relaxte Veranstaltungen und die Einführung von traumasensiblen Übungen und Stimtoys setzt genau hier an und stellt den Körper nicht in ein Außerhalb, sondern in das Zentrum. Durch die Gesamtheit dieser Ansätze entsteht das Gefühl, dass Emotionen und körperliche Reaktionen nicht störend oder unerwünscht sind, sondern ein natürlicher Bestandteil von schwierigen Gesprächen sein dürfen.

Insgesamt zeigte sich, dass alle Elemente der relaxten Veranstaltung von den Teilnehmenden positiv aufgenommen und genutzt wurden.

Im Folgenden werden oben genannte Ansätze und Methoden, so wie ihre positiven Effekte, vertieft:

Ansätze und Methoden:

●      Stimtoys ermöglichen beruhigende, repetitive Bewegungen, die das Nervensystem stabilisieren und ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Sie helfen dabei, Stress abzubauen, ohne dass Menschen verbal oder sichtbar „reagieren“ müssen.

●      Tapping-Techniken und Übungen mit überkreuzten Armen beruhigen den Vagusnerv und aktivieren den parasympathischen Zustand („Ruhemodus“), hierdurch wird den Teilnehmenden ermöglicht, präsent zu bleiben, auch wenn sie mit schwierigen oder belastenden Themen konfrontiert sind.

●      Atemübungen wirken direkt auf die physiologische Stressreaktion, indem sie den Herzschlag verlangsamen, die Sauerstoffversorgung verbessern und ein Gefühl von Kontrolle zurückgeben.

●      Gemeinsame Übungen zu Beginn der Veranstaltung und auf Anfrage zwischendurch fördern die Solidarität und zeigen, dass Selbstregulation nicht isoliert stattfinden muss, sondern in einem unterstützenden sozialen Rahmen eingebettet sein kann.

Positive Auswirkungen:

●      Unterbrechung von Eskalationen: Wenn Menschen die Möglichkeit haben, Stress durch einfache Techniken abzubauen, wird die Wahrscheinlichkeit einer emotionalen oder aggressiven Eskalation reduziert.

●      Förderung von Achtsamkeit und Stärkung von Empathie: Die Offenheit und Sensibilität, die bei relaxten Veranstaltungen vermittelt werden, fördern eine Haltung der Achtsamkeit, der Fürsorge und des gegenseitigen Respekts. Das reduziert Druck und trägt dazu bei, die Situationen respektvoller und weniger konfliktbehafteter zu erfahren/gestalten. Körperliche Beruhigungsübungen bringen Menschen in den gegenwärtigen Moment zurück, was die Konzentration auf das Thema erleichtert, anstatt von alten Verletzungen oder Ängsten überwältigt zu werden. Wenn die emotionale Anspannung abnimmt, sind Menschen besser in der Lage, zuzuhören und sich in andere Perspektiven hineinzuversetzen.

●      Reduktion von Stress und Anspannung: Auch die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, Pausen einzulegen oder sich in einen Rückzugsraum zu begeben, reduziert Stress und Anspannung.

●      Inklusivität: Relaxte Veranstaltungen richten sich explizit an Menschen mit unterschiedlichen Bedarfen, etwa neurodivergente Menschen oder Personen mit chronischen Krankheiten, so wie Menschen mit Erfahrung von Trauma. Das bedeutet, dass auch diejenigen, die aufgrund der oft intensiven Dynamik solcher Diskussionen normalerweise nicht teilnehmen würden, einbezogen werden können.

Viele Menschen verarbeiten komplexe (politische) Themen auf unterschiedliche Weise – sei es durch Bewegung, Nachfragen oder Ruhephasen. Relaxte Veranstaltungen bieten den Raum für diese Vielfalt, ohne sie zu bewerten. Dadurch kann eine konstruktivere und diversere Auseinandersetzung mit schwierigen Themen stattfinden.

●      Bewusstsein über Macht Dynamiken: Durch den Fokus auf Barrierefreiheit, sensible Kommunikation und Flexibilität kann sich bei den Teilnehmer*innen Aufmerksamkeit und Bewusstsein über hierarchische Strukturen, die in Diskussionen über politische Themen oft auftreten, entwickeln.

2. Drei Fragen an Ahmad Dakhnous und Johanna Voß

Die allererste Übung des Workshops Meine Brille - Deine Brille vereint in sich viele zentrale Aspekte eurer Arbeit und spielt in dem Tagesworkshop eine zentrale, tragende Rolle. Die Übung ist auch als ein Tool für die Teilnehmenden gedacht, das sie in ihren Arbeitskontexten anwenden können. Wie geht die Übung und was ist für euch besonders wichtig daran? 

Mit der Übung Meine Brille - Deine Brille eröffnen wir sehr häufig unsere Workshops, da sie den Teilnehmer*innen ermöglicht, sich selbst und die anderen etwas besser kennenzulernen und so zu einer wohlwollenden und empathischen Atmosphäre beiträgt. Bei der Übung reflektieren die Teilnehmer*innen, warum sie wie auf Israel und Palästina blicken. Sie überlegen, welche persönlichen Ereignisse und Erfahrungen ihre Perspektive und ihre Gefühle zum israelisch-palästinensischen Konflikt geformt und geprägt haben. Die Übung verläuft in drei Phasen:

  1. Selbstreflexion: Zu Beginn wird die Leitfrage “Welche persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse haben meine Perspektive auf und meine Gefühle zum Palästina-Israel-Konflikt geprägt?” sichtbar für alle präsentiert. Die Teilnehmer*innen werden eingeladen, eine symbolische Brille auf ein Blatt Papier zu malen und die Frage stichwortartig für sich zu beantworten.

  1. Kleingruppenarbeit (3er-4er Gruppen): In Kleingruppen erzählen sich die Teilnehmer*innen über die Entstehung der eigenen “Brille” und lernen die Perspektiven und Erfahrungsräume der anderen kennen. Das wertfreie Zuhören steht im Zentrum. Gemeinsam wird überlegt, ob der Gruppe Gemeinsamkeiten und Unterschiede auffallen und welche Art von Erlebnissen und Erfahrungen besonders prägend waren. Wichtig ist hier zu betonen, dass jede Person nur das mitteilt, was sie mitteilen möchte.

  2. In einem dritten Schritt kommen alle zusammen ins Plenum und berichten von der Kleingruppenarbeit. Hier geht es um die Auswertung und Reflexion der Methode. Zentrale Fragen könnten also sein: Wie war es für euch, euch über die Entstehung der eigenen Brille Gedanken zu machen, davon zu erzählen und von den Brillen der anderen zu hören? Gab es Gemeinsamkeiten oder Unterschiede?

Die Übung eignet sich besonders als Einstieg in den Workshop, da sie die Möglichkeit bietet, verschiedene Perspektiven zu reflektieren und zu teilen, auch solche, die der eigenen möglicherweise sehr unähnlich sind. Zentral in diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis, dass besonders Erlebnisse und Erfahrungen, die mit starken Emotionen verbunden sind, maßgeblich die eigene Perspektive prägen und verändern können. Dies zu reflektieren, schafft eine Grundlage für ein gegenseitiges Verständnis unter den Teilnehmenden. Die Übung hilft zudem, zwischen Positionierung (aktives Stellungnehmen, möglicherweise Reflexion der eigenen Position in gesellschaftlichen Verhältnissen) und Positioniertheit (die Fremdzuweisung einer Person auf eine bestimmte Position aufgrund äußerlicher Merkmale) zu unterscheiden.

Wichtig zu beachten bei der Durchführung:

· Freiwilligkeit und sensibler Umgang mit Identitäten: Die Freiwilligkeit muss ausdrücklich betont werden. TN dürfen nicht gedrängt werden, persönliche Erfahrungen oder Aspekte ihrer Identität zu teilen.

· Emotionale Reaktionen einkalkulieren, da es um persönliche Erlebnisse und Erfahrungen geht

· Intervention nur bei Diskriminierung, ansonsten einen offenen und wertfreien Raum ermöglichen.

Der Workshop richtete sich an Tanzvermittler*innen und Tanzpädagog*innen, also an Fachleute, die mit und durch den Körper arbeiten und vermitteln. In eurer Erfahrung bisher, welche Rolle kann der Körper spielen, wenn wir uns mit dem Ziel auseinandersetzen, im deutschen Diskurs "Israel und Palästina besprechbar zu machen”? Könnt ihr mit uns eure Beobachtungen teilen, auch gern zu einem konkreten Beispiel?

Das Sprechen über Palästina und Israel ist für viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen nicht ganz einfach – das Spüren auch wir in unseren Workshops. Wir begegnen Personen, die in unvorstellbarer Sorge um ihre Familienmitglieder oder Freund*innen sind, die im Gazastreifen ums Überleben kämpfen und Menschen, die sich seit dem 7. Oktober von der hiesigen Gesellschaft entfremdet fühlen, weil ihnen weder Empathie noch Solidarität entgegengebracht wird und antipalästinensischer Rassismus und Antisemitismus immer weiter normalisiert werden. Aber auch Personen, die familiär oder kollektivbiografisch in die nationalsozialistischen Verbrechen verstrickt sind, haben häufig Hemmungen beim Sprechen. Es sind also unglaublich viele Emotionen im Raum – Wut, Angst, Trauer, Scham, Verzweiflung oder Unsicherheit. Diese Emotionen zeigen sich in unseren Körpern, z.B. in dem wir erstarren, uns der Atem stockt, wir einen Kloß im Hals bekommen oder uns plötzlich ganz heiß wird.

In unserer Bildungsarbeit ermutigen wir die Teilnehmerinnen dazu, ihre Gefühle wahrzunehmen, sie zum Ausdruck zu bringen und sie vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Dynamiken zu reflektieren, denn häufig sind Emotionen gar nicht so individuell wie wir denken, sondern gesellschaftlich geformt. Das machen wir zum Beispiel durch die Arbeit mit Fotos von Gesichtern, durch kreative Methoden oder mit kleinen Körperübungen – allerdings sind wir im Team leider keine ausgebildeten Körperarbeiterinnen – hier wäre es schön, sich noch weiterzubilden und diese Impulse stärker in unsere Arbeit einfließen zu lassen.

Dass Emotionen (und Körper) in der politischen Bildung mitgedacht werden, ist eine eher neue Entwicklung. Lange Zeit wurden Emotionen als störend empfunden und ausgeklammert. Das hatte auch mit der weitverbreiteten Vorstellung zu tun, dass Körper und Geist, Emotionen und Vernunft voneinander getrennte Sphären darstellen. Politik wurde in der Sphäre des

Geistes verortet. Bei dieser Verortung handelte es sich auch um ein sexistisches, rassistisches und klassistisches Instrument, um Frauen, rassifizierte Menschen und Arbeiter*innen aus der politischen Sphäre zu verweisen, indem sie als “zu emotional” und “nicht vernünftig” gelabelt wurden. Aber es hat in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden und man kam zu der Einsicht, dass Emotionen sehr wohl politisch sind. Sie beeinflussen, wie wir die Welt wahrnehmen, welche Werte wir vertreten und somit auch, welche politischen Überzeugungen wir in uns tragen und welche Entscheidungen wir treffen. Dieser “Emotional Turn” führte dazu, dass nun auch in der politischen Bildung nach Möglichkeiten gesucht wird, wie Emotionen ins Lernen einbezogen werden können oder wie sie explizit zum Gegenstand der politischen Bildung gemacht werden können.

Was nehmt ihr aus unserer gemeinsamen Erfahrung im Workshop im Bereich der Tanzvermittlung? Welche Rolle haben für Euch die kleinen somatischen Übungen, die wir eingeführt und die uns durch den Tag begleitet haben?

Wir haben bei euch das Konzept der “Relaxten Veranstaltung" kennengelernt, was für uns sehr inspirierend war. Bei dem Konzept geht es darum, Veranstaltungen möglichst barrierefrei und inklusiv zu gestalten, sodass z.B. auch neurodivergente Menschen problemlos teilnehmen können. Dafür hat Agnieszka verschiedene Sitzgelegenheiten angeboten, einen Raum zum Rückzug gestaltet und mit uns im Vorfeld vereinbart, dass wir viele und lange Pausen einplanen. Außerdem lagen in der Mitte des Raumes viele kleine Spielzeuge, die man drücken, kneten oder springen lassen konnte, um so Spannungen abzubauen. Zu Beginn des Workshops hat Agnieszka uns drei Körperübungen gezeigt, die uns durch den Tag begleitet haben und immer dann wiederholt wurden, wenn Anspannung im Raum war, Schwere sich breit machte oder wir uns “Luft machen” mussten. Für uns wäre es sehr spannend, in Zukunft mehr solcher Elemente auch in unsere Bildungsarbeit zu integrieren und unsere Veranstaltungen insgesamt noch “relaxter” zu planen und zu gestalten.

 3. Perspektiven von zwei Teilnehmenden

Was hat dich dazu bewegt, an dem Workshop teilzunehmen?

Martina Maria Helmke: Schon länger bin ich mit Freund*innen, vor allem aus der Kreativ- und Körperarbeit, an den Punkt gekommen, die Sprachlosigkeit in Bezug auf Israel und Palästina als eine verbale anzuerkennen und das Verständnis für die Notwendigkeit anderer Ausdrucks- und Wahrnehmungsformen zu aktivieren, um...? Ja, um was eigentlich? Um einem diffusen Verantwortungsdruck nachzugehen, den ich als – deutsche – Tanz- und Bildungsvermittlerin verspüre. Um vielleicht auch weniger verbrannte, verletzende, ggf. menschlichere und emotionalere, weniger rationale Wege der Begegnung und Auseinandersetzung zu schaffen. Die Räume, die wir im Community Dance oder auch im therapeutischen Kontext für Tanz kreieren funktionieren u.a. aufgrund einer zentralen Botschaft: Es gibt kein richtig und kein falsch. Das ist eine Prämisse, die im Angesicht ungezählter Toter und akutem Leid nur schwer aushaltbar ist. Und ich bin mir selbst nicht sicher, ob es in diesem Moment die richtige ist. Wirkt sie aktivierend oder wirkt sie lähmend? Was muss ich wissen, welchen Perspektiven muss ich mir bewusst sein um durch, mit, aus meiner Arbeit und Erfahrung im Bereich Tanz heraus politisch beitragen zu können? Und – wer gibt mir eigentlich diesen Auftrag?

Der Workshop hat mich angesprochen aufgrund der spezifischen Zielgruppe an Teilnehmenden und dem explizit multiperspektivischen Ansatz. Als ich das Angebot gelesen habe war ich einfach nur dankbar für diese Gelegenheit. Dankbar für das konkrete Ansprechen eines politisch-akuten Themas, das wir in unseren körperfokussierten, sinnlichen Kontexten vielleicht bisher nicht so recht anzusprechen wissen, das uns aber alle in Wahrheit bis ins Mark erschüttert und nach körperlich-emotionalem Ausdruck förmlich schreit. Das Erleben dieses Krieges hat bereits eine immense, zerstörerische körperliche und seelische Ebene. Wie können wir als Körper- und Kreativ-Praktiker*innen dieser über kurz oder lang begegnen?

Anonyme*r Teilnehmer*in: I participated in the workshop because, on one hand, I have a personal connection to the conflict between Israel and Palestine and seek spaces where I can discuss it beyond my immediate personal context. On the other hand, I am particularly interested at the moment in exploring and learning mediation and conflict resolution strategies as well as non-violent forms of communication. (Original)

Ich habe am Workshop teilgenommen, weil ich einerseits einen persönlichen Bezug zum Konflikt zwischen Israel und Palästina habe und Räume suche, in denen ich über meinen unmittelbaren persönlichen Kontext hinaus darüber diskutieren kann. Andererseits bin ich im Moment besonders daran interessiert, Mediations- und Konfliktlösungsstrategien sowie gewaltfreie Kommunikationsformen zu erforschen und zu erlernen. (Aus dem Englischen übersetzt vom Dokumentationsteam)

Was hat dich im Rahmen des Workshops am meisten bewegt und nachhaltig beschäftigt?

Martina Maria Helmke: Zum einen hat mich der Rahmen, das Format "relaxed Workshop" überrascht und begeistert und einiges ist direkt in meine eigene praktische Arbeit in Hamburg zurückgeflossen – großes Danke dafür! Das Verständnis, die Aufmerksamkeit, die Offenheit, die Neugierde und der Wunsch aller Teilnehmenden nach Konfrontation und Verstehen haben mich ebenso beeindruckt.

Mein prägender Begriff für das Erleben dieses Workshops ist wohl "multiperspektivische Dreiecks-Konstellationen". Die Idee eines Dreiecks, durch das wir die Bipolarität der Perspektiven verlassen und Raum für eine dritte schaffen. Drei Perspektiven, die gemeinsam eine Mitte bilden, einen Raum schaffen, auf den ich blicken kann. Diese Idee finde ich überall wieder – in meinen Aufzeichnungen und in den Begegnungen vor Ort. Das Dreiergespräch über unsere (biografischen) Brillen auf das Thema Israel-Palästina war augen- und weltenöffnend für mich. Wie divers und komplex und dabei so offensichtlich und verständlich die Geschichten sind, die hinter unseren Haltungen und Reaktionen stecken! Und wie verbindend es sein kann, diese einfach mal erzählen zu dürfen und als Gleichzeitigkeit beieinander stehen zu lassen. Ein weiteres Dreieck war jenes der gesellschaftlichen Perspektiven im deutsch-sprachigen Diskurs zu Israel-Palästina: post-nationalsozialistisch, post-migrantisch und post-kolonial. Auch das habe ich als sehr schlüssig empfunden und bin den Referent*innen für diese Analyse dankbar. Ich konnte zwar deutlich die unterschiedliche Hierarchisierung im deutschen politischen Diskurs erkennen, fühlte mich aber nicht unter Druck gesetzt, der einen oder anderen ein größeres oder kleineres Gewicht geben zu müssen. Es reichte erstmal, sie überhaupt zu sehen. Ich habe mich eingeladen und aufgefordert gefühlt, diese verschiedenen Perspektiven selbstbestimmt einzunehmen und aus ihnen jeweils Konsequenzen und Haltungen abzuleiten – sowohl in Verbindung als auch unabhängig von meiner Person.

Anonymer Teilnehmer*in: After the workshop, I had a critical reflection with the moderators, which I wasn’t able to share with the other participants, and I feel this might be an appropriate space to do so. I noticed that some participants (though not the moderators) drew on U.S. American discourses on race to discuss the Palestinian struggle, for example mentioning “Black Life Matters” and “White Supremacy”. While I understand the intention to draw parallels with discourses that play a big role in how we view and understand the world today in Europe, I believe that conversations around systemic racism are deeply tied to specific historical, cultural, and political contexts. Applying the U.S. framework to entirely different situations can obscure the unique complexities at hand, making it even harder to meaningfully address and unpack the realities we are discussing. (Original)

Nach dem Workshop hatte ich eine kritische Reflexion mit den Moderator*innen, die ich nicht mit den anderen Teilnehmer*innen teilen konnte, und ich denke, dass dies ein geeigneter Ort dafür sein könnte. Mir ist aufgefallen, dass einige Teilnehmer*innen (jedoch nicht die Moderator*innen) auf US-amerikanische Diskurse über Ethnie zurückgriffen, um den palästinensischen Kampf zu diskutieren, indem sie zum Beispiel "Black Life Matters" und "White Supremacy" erwähnten. Ich verstehe zwar die Absicht, Parallelen zu Diskursen zu ziehen, die eine große Rolle dabei spielen, wie wir die Welt heute in Europa sehen und verstehen, aber ich glaube, dass Gespräche über systemischen Rassismus zutiefst mit spezifischen historischen, kulturellen und politischen Kontexten verbunden sind. Die Anwendung des US-amerikanischen Rahmens auf völlig andere Situationen kann die einzigartigen komplexen Zusammenhänge verschleiern, was es noch schwieriger macht, die von uns diskutierten Realitäten sinnvoll zu entschlüsseln. (Aus dem Englischen übersetzt vom Dokumentationsteam)

Hast du darüber nachgedacht, wie du die Erfahrung und das Wissen des Workshops in deiner Vermittlungsarbeit und tänzerischen Praxis anwenden kannst?

Martina Maria Helmke: Ja :-) Ich fände es spannend, diesen Gedanken eines multiperspektivischen Dreiecks physisch in den Raum zu bringen, herauszufinden was die Pole als Linien miteinander verbindet und einen Innenraum emotional aufzuladen, auf den ich von allen drei Punkten ausschauen kann. Welche Erfahrungen und Biografien, welche Bilder und Geschichten, welche aktuellen und alten Traumata manifestieren sich in den jeweiligen Polen? Wie stelle ich Verbindung her, was erfordert das von mir, wie schmal oder breit ist der Pfad, ist das Band? Und inwiefern kann der Innenraum, als Raum für Gefühlsausdruck, ein Ort der Begegnung werden. Wie wirkt die Betrachtung von Wut auf mich aus der einen oder anderen Perspektive? Wie Trauer und Verzweiflung? Und wie wichtig ist es dabei zu wissen, welchem Pol dieses Gefühl gerade entsprungen ist? Kann ich mich selbst erkennen? Das sind erste Gedankenentwürfe für ein Experiment, für das mir alleine aber aktuell die Kapazitäten fehlen. Für den Moment möchte ich weiter tänzerisch bzw. im Rahmen von Tanz-Erfahrung an den Themen Widersprüchlichkeit und Empathie sowie Fehlerfreundlichkeit und Mut arbeiten. Das schließt Heilung durch Begegnung und Verkörperung mit ein. Mir ist im Anschluss an den Workshop nochmal klargeworden, dass ich wirklich wenig darüber weiß, was die Teilnehmenden meiner Kurse zu politisch aufwühlenden Themen denken und fühlen. Ich habe mich selber bisher nicht getraut, entsprechende "Fässer zu öffnen", aus Angst, den Rahmen dann nicht halten zu können – vielleicht wäre das der nächste Schritt. Der Workshop hat mir hier zumindest erstmal zu mehr Mut, Klarheit und Ehrlichkeit bei mir selbst verholfen und ich denke, dass das ohnehin die Grundlage der Arbeit in diesem Feld sein sollte.

Anonyme*r Teilnehmer*in: One of the most significant frameworks introduced by the workshop leaders was: "You can say the wrong thing." Within a workshop, I found this to be a crucial tool for fostering a space where different opinions can coexist, and where participants can trust that any difficult or uncomfortable moments will be addressed in a constructive, non-violent way.

Another key takeaway for me was the first exercise we did in small groups, "Meine Brille / deine Brille“. This exercise provided a structure for self-reflection and encouraged us to examine our own personal histories and how they shaped our current opinions and beliefs. It also created an opportunity to listen to others’ perspectives without judgment. (Original)

Einer der wichtigsten von den Workshopleiter*innen eingeführten Rahmenbegriffe war: "Du darfst das Falsche sagen." Ich fand, dass dies in einem Workshop ein wichtiges Instrument ist, um einen Raum zu schaffen, in dem unterschiedliche Meinungen nebeneinander bestehen können und in dem die Teilnehmer*innen darauf vertrauen können, dass schwierige oder unangenehme Momente auf konstruktive, gewaltfreie Weise angesprochen werden.

Eine weitere wichtige Erkenntnis für mich war die erste Übung, die wir in kleinen Gruppen durchführten: "Meine Brille / deine Brille". Diese Übung bot eine Struktur für die Selbstreflexion und ermutigte uns, unsere eigene persönliche Geschichte zu untersuchen und herauszufinden, wie sie unsere aktuellen Meinungen und Überzeugungen geprägt hat. Sie bot auch die Möglichkeit, die Sichtweise der anderen anzuhören, ohne sie zu bewerten. (Aus dem Englischen übersetzt vom Dokumentationsteam).

Biographien

Agnieszka Habraschka ist Beraterin, Dramaturgin und Produktionsleitung mit Schwerpunkt auf barrierefreier und anti-ableistischer Kulturarbeit/Performancekunst, Aesthetics of Access sowie intersektionaler Antidiskriminierung. Bis März 2024 war Agnieszka als Produktionsleitung bei dem Netzwerkprojekt Making a Difference tätig. Agnieszka ist neurodivergent, hat nicht sichtbare Behinderungen und hat Erfahrungen von Migration und Armut. 

Ahmad Dakhnous ist Referent für politische Bildung mit den Schwerpunkten Rassismus- und Antisemitismuskritik, Flucht und Migration, Ankommensprozesse sowie Israel/Palästina. Er studierte Erziehungs-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften mit besonderem Fokus auf den Nahostkonflikt. Aufgewachsen in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien, lebt er seit 2016 in Deutschland.

Johanna Voß ist seit vielen Jahren als Bildungsreferentin in der politischen Bildung mit den Schwerpunkten Antisemitismus-, Rassismus- und Diskriminierungskritik tätig. Sie studierte Public History, Europastudien und in Haifa, Israel das Honors Program for Peace and Conflict Studies.

Martina Maria Helmke (37) wirkt und arbeitet seit mehreren Jahren in Hamburg in den Bereichen Bildung und Projektmanagement sowie als Community Dance Practicioner (AdkB Remscheid) und inklusive Tanzvermittlerin (Lola-Rogge-Schule, DanceAbility®). Ihr besonderes Interesse gilt dem Zusammenhang von Kollektivität, Empathieförderung und Tanz. Seit Juni 2024 macht sie eine Ausbildung zur Tanz- und Bewegungstherapeutin.