Tanzbotschafterin Mira
Gewaltige Wellen von Energie
"Hold Your Horses" von De Dansers im Theater Strahl
9.01.2023
Tanzbotschafterin Mira
9.01.2023
Mira Hülsmann ist 14 Jahre alt und hat im Auftrag der Offensive Tanz die Vorstellung "Hold Your Horses" im Theater Strahl besucht. Für unseren Blog hat sie ihre Eindrücke aufgeschrieben.
Wenn ihr selbst Tanzbotschafter:in werden wollt, schaut euch gerne unsere Ausschreibung an.
Hold Your Horses
Vorstellungsbesuch bei Theater Strahl am Ostkreuz
Eine leere Bühne, sich langsam füllende Zuschauerränge, angenehm warme Luft angesichts der eisigen Kälte, welche draußen jede Pfütze mit Eiskristallen überzieht. Leise Stimmen erfüllen den großen Raum, von freudiger Erwartung geladen. Und plötzlich geht es los. Ohne lange Vorrede wird ein Tisch in die Mitte der beleuchteten Bühne getragen, Tänzer:innen sowie Sänger nehmen ihre Plätze ein und mit der Kraft eines auf die Erde zurasenden Kometen schlägt das Stück die Zuschauer von der ersten Sekunde an in seinen Bann. Gewaltige Wellen von Energie durchfluten das Theater, wild und atemlos, doch nie auch nur für einen Moment innehaltend. Die Tänzer:innen bewegen sich abgestimmt, mal unabhängig, dann wieder synchron, wie die bunten Ringe eines Kaleidoskops.
Und auf einmal liegt all die Aufmerksamkeit auf nur einer Person, als hätte sie sich plötzlich in etwas nie zuvor gesehenes verwandelt. Die Anderen wollen sie, greifen nach ihren Haaren, den Armen und hängen aufdringlich an jeder einzelnen ihrer Bewegungen. Dann schlägt die Stimmung um, als würde der Wind sich drehen, und in unberechenbarer Heftigkeit steht plötzlich eine andere Person im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Tänzer:innen bewegen sich lässig, springen barfuß über den schwarzen Bühnenboden und legen derart gekonnte Kombinationen an Sprüngen, Bewegungen und Team-Konstellationen hin, dass die Zuschauer:innen nichts weiter tun können, als mit staunend aufgerissenen Augen jedem der gewagten Schritte zu folgen.
Es sieht überhaupt nicht danach aus, als wäre jede Bewegung im Voraus festgelegt. Nichts wirkt steif und eintrainiert, sondern einfach nur schön, wild getanzt, frei vermittelt, weich und beinahe spielerisch. Doch da ist auch diese unglaubliche Präzision, die es beinahe ausgeschlossen lässt, dass jeder Fuß und jeder Finger nicht genau dort ist, wo er zu sein hat. Denn wie sonst können so erstaunliche Choreografien möglich sein? Die Tänzer:innen scheinen dieses verrückte Vertrauen zueinander zu haben, sie werfen sich dem Anderen buchstäblich in die Arme, ohne auch nur hinzuschauen, springen in dem sicheren Glauben von jemandem aufgefangen zu werden, auch wenn dieser Jemand noch Sekunden zuvor mit ganz anderen Dingen beschäftigt war. Und über all diesen wilden, wunderbaren Tanz legt sich… Musik.
Der Sänger steht ebenfalls auf der Bühne, tanzt gelegentlich sogar mit. Seine Stimme und die Töne seiner Gitarrenseiten vibrieren auf ebenso mitreißende Weise durch die von Spannung geladene Luft, wie die Bewegungen der Tänzer:innen.
Die Musik verschmilzt mit dem Tanz. Sie ist ein Teil von ihm.
Hin und wieder wendet sich die allgemeine Aufmerksamkeit allein auf den Sänger, dann ist er es, der umklammert und festgehalten wird wie etwas, das loszulassen gefährlich gewesen wäre. Seine raue Stimme legt sich über Tanzschritte und akrobatische Bewegungen, rauscht durch den Raum und nimmt gelegentlich eine ungeheure Lautstärke an, welche die bittersüße Melodie in alle Ohren drängt. Und immer noch wirkt alles so lässig und doch so kontrolliert. Es gibt Augenblicke, da scheint die Energie den Raum geradezu zu überwältigen. Wie vom Blitz getroffen schnellen die Darsteller:innen dann in die Luft, als könnten sie das in ihnen pulsierende Leben nicht mehr an sich halten und alle beginnen zu rennen. Die Energie wird hierbei fast greifbar. Jeder Schritt scheint nur zum abstoßen bestimmt zu sein, nicht um abzusetzen. Kein Ankommen, nur weiter.
„…All that water down the drain… All that fire up in flames…“ Die Zeilen der maßgeschneiderten Musik sind eins mit dem Tanz und der markerschütternde Mut, der hierbei an den Tag gelegt wird, wagt sich immer weiter vor. Nun klettert eine der Tänzerinnen an gestapelten Tischen empor, tanzt oben weiter als wäre es nichts und lässt sich dann fallen, als hätte sie sich die Überzeugung angeeignet, fliegen zu können. Und immer ist da jemand, der den Anderen auffängt. Klettern und Fallen. Aufgefangen werden. Mit Gelassenheit der Gefahr begegnen und sie somit bewältigen.
Schützend und geschützt werdend lassen sich die Tänzer:innen immer wieder aufs neue zueinander hinziehen, den Wiederwillen des Anderen missachtend. Gewalt und Zärtlichkeit verbinden sich in diesem akrobatischen Tanz miteinander und ein ungebrochenes Vertrauen trägt jede der Bewegungen. Irgendwann ist nicht mehr auszumachen wer springt und gefangen wird, und wer wiederum den Anderen hält. Alles geht so schnell, scheint unmöglich zu sein. Und doch schaffen die Darsteller:innen es, diese einzigartige Mischung aus Fliegen und Tanzen zu verwirklichen.
von Mira Hülsmann, Tanzbotschafterin
"Hold Your Horses" ist eine Koproduktion von De Dansers, NL und Theater Strahl.