Tim Winter
Auf dem Sprung zur Sparte?
Ein Rückblick auf das Symposium „FUTUR TANZ I“
11.03.2022
Tim Winter
11.03.2022
Zum Symposium FUTUR TANZ I: Auf dem Sprung zur Sparte? kamen am 23. Januar 2022 Expert:innen der Tanz- und Theaterszene zusammen, um über die Zukunft von „Tanz für junges Publikum“ zu diskutieren: Wo verorten wir uns als Akteur:innen dieser Kunstform? Wie wollen wir künftig zusammenarbeiten? Und wer ist eigentlich wir?
Mit über 120 Anmeldungen aus ganz Deutschland – von großen und kleinen Theater- und Tanzinstitutionen, der freien Szene bis hin zu Fördermittelgeber:innen und Vertreter:innen der Kulturpolitik – zeigte sich bereits im Vorfeld, dass großes Interesse an diesen Fragen und hoher Bedarf nach Austausch besteht. Mehr als 60 Teilnehmer:innen verfolgten schließlich die digitale Tagung, die aus drei Debattenblöcken und einem Diskursformat in Kleingruppen (Breakout Rooms) bestand.
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Livia Patrizi, Künstlerische Leiterin des OfTa-Partners TANZKOMPLIZEN, eröffnete die Veranstaltung mit dem Plädoyer, bei allen strukturellen Überlegungen die junge Zielgruppe und ihre Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren:
„Wenn junge Menschen nicht ins Theater gehen, um sich Tanz anzuschauen, hat das etwas mit unserem Kultursystem zu tun, also mit uns.“
Wir als Kulturschaffende seien verantwortlich, Zugangsbarrieren abzubauen, um den Tanz für junges Publikum für Kinder und Jugendliche attraktiv zu machen: „Was können wir tun, um den Tanz für junges Publikum nachhaltig und bundesweit zu stärken? Gegen Adultismus kämpfen (…) und dafür sorgen, dass dieser Begriff neben Rassismus, Klassismus, Ableismus usw. im aktuellen Fachdiskurs ernstgenommen und repräsentiert wird? Dafür kämpfen, dass alle Spielstätten, Theaterhäuser, Tanzhäuser, Festivals, freie Companies und damit die gesamte Tanzszene Programm für ein junges Publikum anbietet? Dass in Zukunft in allen Jurys von Förderprogrammen immer auch Expert:innen für jungen Tanz sitzen?“.
Moderatorin Elena Philipp gab diese Fragen im Anschluss an die Gäste der drei Debattenrunden weiter.
In Debatte eins stand zunächst die Verortung der Sparte zwischen Tanz und Kinder- und Jugendtheater im Fokus. Stefan Fischer-Fels, Leiter des Jungen Schauspiels am Düsseldorfer Schauspielhaus, warf einen Blick zurück in die Siebzigerjahre. Die Entwicklung einer eigenen Sparte Kinder- und Jugendtheater war damals bereits getrieben von denselben Kernthemen, die auch heute noch relevant sind: das Recht von Kindern auf kulturelle Teilhabe, die Frage nach der Definition über die Kunstform oder über das Publikum, das Ziel höhere Budgets und bessere Arbeitsbedingungen für den Kinder- und Jugendbereich zu erstreiten, der Anspruch die Lebensrealitäten der Kinder zu erkennen und sie nicht zu verniedlichen. Kinder- und Jugendtheater als eigenständige Sparte zu etablieren, half laut Fischer-Fels dabei, Kinderrechte im Allgemeinen zu stärken und konnte über die Jahre vieles bewirken. Doch bis heute gebe es große Unterschiede zu den Arbeits- und Budgetbedingungen im Erwachsenentheater. Eine eigene Sparte sei also hilfreich, aber nicht die Lösung aller Probleme.
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Martina Kessel, Vorstand von Aktion Tanz, knüpfte mit ihrer Erfahrung als Gründerin der Sparte Junger Tanz am Tanzhaus NRW an: Macher:innen, Produzierende und nicht zuletzt die Spielstätten selbst seien bis heute vor besondere Herausforderungen gestellt, wenn sie Tanz für junges Publikum auf die Bühne bringen wollten. Viele andere Länder, allen voran Belgien, die Niederlande und Skandinavien seien bereits deutlich weiter in ihren Strukturen. Dort werde der Bedarf an qualitativ hochwertigen, teilhabend ausgerichteten Kulturangeboten für Kinder- und Jugendliche höher eingeschätzt als in Deutschland. 2006 sei mit Take-off: Junger Tanz erstmals eine langfristige strukturelle Förderung des Bereichs Tanz für junges Publikum ermöglicht worden. So konnten erste Kooperationen innerhalb der Szene entwickelt werden, die Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen gestärkt und Verlässlichkeit und Qualität in der täglichen Arbeit für junges Publikum verstetigt werden. Hinter all diesen Faktoren stehe der Bedarf nach kontinuierlich ausgelegter Finanzierung und ausreichender räumlicher Ausstattung.
Gabi dan Droste, Leiterin des FELD Theater und Initiatorin des Young Dance Network, richtete den Blick auf die Tanzschaffenden selbst. Insbesondere junge Künstler:innen seien es, die häufig interdisziplinär agierten, da sie sich nicht mehr nur als Tänzer:innen, sondern gleichzeitig als Blogger:innen und Musiker:innen, Medienschaffende und Diskursteilnehmende verstünden. Dies mache zeitgenössischen Tanz von sich aus zu einer spartenübergreifenden Kunstform. Mit Blick auf die Theaterwelt sprach dan Droste die ihrer Ansicht nach lange verschlafene Einbindung der Kunstform Tanz in institutionelle Strukturen an. Und schloss, ähnlich wie ihre Vorrednerin, mit einem Plädoyer für Qualitätssicherung und Nachhaltigkeit, um den Sprung in eine mögliche Sparte Tanz für junges Publikum zu einem „Flug“ und nicht zu einer „Bruchlandung“ werden zu lassen.
Die Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Theater und Tanz prägte die anschließende Diskussion der drei Redner:innen: Intensive Text- und Manuskriptarbeit auf der einen, von einer Idee oder Improvisation ausgehende Arbeit auf der anderen Seite. Stattliche Ressourcen für Monate oder sogar Jahre andauernde Stückentwicklungen stehen einer oft schmalen Projektfinanzierung und kurzen Probenphasen gegenüber. Bedarf es einer Quote für den Tanz? Einer Quote für Kinder- und Jugendproduktionen? Einig war man sich vor allem beim Befund: Bei Entwicklungs- und Arbeitsprozessen, wie etwa der frühzeitigen Partizipation junger Menschen in die Stückentwicklung, können alle voneinander lernen.
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Nach einem kurzen Bewegungsimpuls von Florian Bilbao lag mit Debatte zwei der Fokus auf der Produktions- und Förderpolitik.
Kerstin Evert, Leiterin des K3 in Hamburg und Mitglied im Netzwerk Explore Dance, konstatierte, dass es für die Kunstform Tanz immer noch viele strukturelle Aufgaben zu lösen gebe: Tanz sei häufiger als andere Sparten von Streichungen an Stadt- und Landestheatern bedroht, Tanzjurys weiterhin wenig verbreitet. Trotz der Unterschiede, die zwischen Tanz für junges Publikum und dem allgemeinen Tanzbetrieb bestünden, teilten beide Bereiche dieselben Ziele: größere Fördervolumen und eine intensivere kommunale Arbeit. Kontinuität sei hier die wichtigste Stellschraube, sowohl für den Produktions- und Vermittlungs-, als auch den täglichen Arbeits- und Anstellungsbetrieb.
Mit dem Blick auf die lange Fördertradition, die der Tanz bei der Bundeskulturstiftung hätte, öffnete Theresa Darian ihren Beitrag. Mit dem Programm Jupiter sei nun auch die Zielgruppe junges Publikum in den Fokus gerückt. Ausschlaggebend dafür sei die Erkenntnis gewesen, dass für den Bereich der Kinder- und Jugendkultur an Theatern weiterhin oft nur sehr begrenzte Mittel für Ausbildung, Honorare und Produktionsarbeit zur Verfügung stünden. Eine Stiftung allein könne diese strukturellen Mängel aber nicht beheben. Hier seien weiterhin intensive, interdisziplinäre Diskurse wichtig.
In der anschließenden Diskussion kam mehrfach zur Sprache, dass Anschubfinanzierungen – wie etwa die derzeitigen Neustart-Gelder – nur dann nachhaltig seien, wenn darauf strukturelle Anschlussförderungen folgten. Anderenfalls würden, wie in der Vergangenheit mehrfach geschehen, Ressourcen in den wiederholten Aufbau von Strukturen fließen, die dann nicht aufrecht zu erhalten seien.
Das Thema Vernetzung diskutierten daraufhin Michael Freundt vom Dachverband Tanz und der Choreograf Alfredo Zinola. Der Aufbau einer Dialogkultur sei eine der ersten Aufgaben nach der Gründung des Dachverbandes Tanz gewesen, so Freundt. Neben der Lobbyarbeit auf Bundesebene sei dazu die Einsicht gewachsen, Konzepte nicht nur zu finanzieren, sondern auch selbst umzusetzen, um Expertise zu entwickeln und Grundlagenforschung zu ermöglichen. Auch er betonte die Bedeutung von Interdisziplinarität bzw. Durchlässigkeit im Tanz – zwischen professionellen und semi-professionellen Künstler:innen, wie auch bei Fragen der Eroberung von Theaterstrukturen durch den Tanz, um das eigene Potential auf Augenhöhe in Austausch zu bringen.
Seine Anstellung als Factory-Artist beim Tanzhaus NRW nannte Alfredo Zinola als ein gutes Beispiel für eine zumindest zweijährige Finanzierung als Choreograf. Der Austausch von Wissen, der innerhalb der Tanzsparte seines Erachtens zu gering stattfinde, sei eines der Hauptziele bei Gründung des „Young Dance Network“, einer Initiative innerhalb der ASSITEJ International, gewesen. Tanz dürfe sich dabei nicht zu sehr in eine eigene Sparte zurückziehen, um ausreichend Sichtbarkeit zu generieren. Dazu seien auch auf internationaler Ebene Förderprogramme notwendig, die Künstler:innen den länderübergreifenden Austausch erleichterten.
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In vier Breakout Rooms diskutierten daraufhin alle Symposiums-Teilnehmer:innen in Kleingruppen über die vorab formulierten Fragestellungen. Dabei kam der Wunsch nach einem engeren Austausch zwischen etablierten Institutionen und der freien Szene zur Sprache, etwa über die Besetzung der Leitungsebenen an Theatern und Tanzhäusern. Außerdem der Wunsch nach einem eigenständigen Netzwerk Tanz für junges Publikum, das idealerweise ohne eine zu strenge Abgrenzung von anderen Kunstformen funktioniere, sowie der Bedarf nach mehr Wissenstransfer, einem gemeinsamen Kampf für mehr Teilhabe junger Menschen am Kulturleben und dem Verständnis von Theater als Ort für alle Formen der Kunst.
Das Symposium FUTUR TANZ I war ein erster Schritt, die noch junge Kunstform Tanz für junges Publikum in die Zukunft zu führen. An die Fragen der Verortung anknüpfend und diese weiterdenkend, wird am 15. Mai 2022 die zweite Ausgabe von FUTUR TANZ stattfinden, dann im Rahmen des FRATZ Festivals von Theater o.N.
Ort und Programm werden in Kürze bekannt gegeben, informieren Sie sich gerne auch weiterhin über die Seite der Offensive Tanz sowie über unseren Newsletter.
Das vollständige Mentimeter mit allen Kommentaren zur Veranstaltung finden Sie hier.