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Offensive Tanz

© Sebastian Runge

© Sebastian Runge

© Sebastian Runge

Elisabeth Leopold für die Offensive Tanz für junges Publikum

fragil

Beitrag zum Tanzstück

fragil stärken.

Ein Bericht zur aktuellen Produktion des Choreografen Clébio Oliveira für Zuschauer*innen ab drei Jahren. In Zusammenarbeit mit dem Theater o.N. und der Offensive Tanz für junges Publikum.

Bereits im Oktober 2019 begann der brasilianische Choreograf und Tänzer Clébio Oliveira den Rechercheprozess zu seinem Stück fragil und führte dazu einen Workshop mit dem gesamten Ensemble und anschließend einen ersten Kitabesuch durch. Dieses Frühjahr startete das Team mit dem Probenprozess, bis zwei Wochen vor der Premiere im März 2020 die Kontaktsperre aufgrund der Corona-Pandemie in Kraft trat.

Wie der Titel schon verrät handelt fragil von menschlicher Verletzlichkeit, Zerbrechlichkeit und Fragilität, insbesondere in Phasen von Kindheit und Alter. Mit Fokus auf diese Lebensabschnitte und auf besonders betroffene Personen rückten im Rechercheprozess Orte wie Kinderheime oder Altersheime und ihre Verknüpfung zu Gefühlen der Vereinsamung, Verlassenheit, oder dem Verlust geliebter Menschen in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung und somit der Stückentstehung. Dabei mischten sich Vorstellungsbilder dieser Gefühle und Situationen nach und nach mit den Kindheitsbildern persönlicher Erfahrungen der Performerinnen Olga Ramirez Oferil und Michaela Millar und bildeten den Grundstein für ein poetisch umgesetztes, mentales, wie auch körperliches Erinnern auf der Bühne.

Vereinsamung stellt eine der größten Gefahren in unserer menschlichen Entwicklung dar und die Abwesenheit von Berührung und Kontakt hat immense Auswirkungen auf unsere Psyche. Gerade in der aktuellen Situation, in der sich unser Alltag immer mehr in die eigenen vier Wände zurückzieht und ‚social distancing‘ zu einer staatlichen Vorgabe einerseits, aber auch zu einer eigenverantwortlich-solidarischen Aktion andererseits wird, rückt dieses Thema und damit auch die Verletzlichkeit unserer Gesellschaft in die unmittelbare Gegenwart. Das wurde auch im schriftlichen Austausch mit dem Choreografen und den Performerinnen klar, wo Fragilität abseits des thematischen Schwerpunktes von Anfang an ein ständiger Begleiter des gesamten Prozesses war. Zum einen durch die aktuelle Situation, zum anderen durch die Erkrankung eines ehemals eingeplanten Performers wurden Gefühle der Vereinsamung und Fragilität greifbarer und persönlicher.

Solche persönlichen Verknüpfungen spielten eine wichtige Rolle in dem Prozess der Erinnerung und dem Aufrufen von Kindheitserfahrungen. Wie erinnert man sich selbst und macht sich Erinnerungen anderer zu eigen? Welche Kindheitsbilder trägt man in seinem Gedächtnis?

Olga Ramirez Oferil erläutert es als ein "Zurückkehren zu diesem Zeitpunkt, wo unser noch flexibler Charakter beeinflusst wird durch das, was in unserem Umfeld geschieht. Gerüche, die uns zu einem Augenblick transportieren, wie alte Bilder in Schwarzweiß. Orte, die eventuell nicht mehr besucht werden oder die nicht mehr wie damals existieren. Wichtige Menschen, die auch nicht mehr da sind. Je weiter die Entfernung ist, desto nostalgischer kann die Reise sein."

Ausgehend von den oben genannten gedanklichen Skizzen wurden diese Erinnerungsreisen über Bilder, Gefühle und Gegenstände angeregt und führten im weiteren Probenverlauf immer mehr zu einer eigenen Körpersprache des Durchlebens, die auf der Bühne ihren Ausdrucksort findet. Denn wie erinnert sich der Körper? Michaela Millar wirft dazu die Frage auf, wie Kindheitserlebnisse, wenn sie mit einem älteren, veränderten, vielleicht limitierteren Körper durchlebt werden, zum Ausdruck kommen?

Fast selbstständig entwickelten sich aus diesen Recherchen die fiktiven Figuren für das Stück. Die beiden Performerinnen werden auf der Bühne zu sich ergänzenden Figuren, deren Visionen sich in der jeweils anderen fortsetzen und wo die eine Teil der Erinnerung der anderen wird.

„Research work transcends our personal universe, imagination, creativity and it transforms in some way in actions, gestures, movements. Thought itself is already the beginning of movement in space.“

Clébio Oliveira

Die erzwungene Unterbrechung zum Ende des Probenprozesses hatte vor allem deshalb einen frustrierenden Moment, da genau zu diesem Zeitpunkt die Begegnungen mit jungen Zuschauer*innen geplant waren und der Dialog mit dem Publikum beginnen sollte. Nur bedingt lässt sich die Wahrnehmung der Kinder mitdenken, aber vor allem durch einen sehr assoziativen Zugang und über die Körpersprache dockt Clébio Oliveira an Imaginationswelten von Kindern wie Erwachsenen gleichermaßen an. Zu wem die Erinnerungswelten gehören löst sich auf, wird zu etwas Geteiltem und Kollektivem auf der Bühne.

Aus diesen traumhaften, fantasievollen Reisen, dem Verschmelzen der Figuren, den körperlichen Beziehungen zu Gegenständen und zusammen mit der musikalischen Begleitung des Musikers und Komponisten Matresanch entsteht eine sehr spielerische, atmosphärische Stimmung, die Kindern viele assoziative Anknüpfungspunkte ermöglichen dürfte.

Durch die vielen Parallelen und präsenten Themen die fragil verhandelt, ist es umso bedauerlicher, das Stück in seiner Aktualität nicht live erfahren zu können. Aber auch zukünftig wird es uns bereichern. Auf ein baldiges Öffnen der Säle!