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Offensive Tanz

Christine Matschke

Allianzen auf Augenhöhe gestalten

Bericht über das zweite Fachymposium

Im Mai 2021 fand unser dreitägiges Fachsymposium zum Thema „Wer ist unser Publikum?“ statt. Beteiligt waren zahlreiche Expert:innen aus den Bereichen (performativer) Kunst, Kultur und Medien, die gemeinsam der Frage nachgingen, über welche Kanäle und mit welchen Mitteln ein junges Publikum heute am besten erreicht werden kann. Involviert waren zudem mehrere Jugendliche, die den Beiträgen der Expert:innen folgten und mit ihrer Meinung am Ende eine kritische Reflexion ermöglichten. Die freie Tanzjournalistin Christine Matschke hat für die Offensive Tanz die Ergebnisse zusammengefasst. Die Grafikdesignerin Liane S. Hoder verwandelte die Ergebnisse der drei Tage darüber hinaus in anschauliche und informative Illustrationen. Der hier wiedergegebene Text stellt lediglich Auszüge dar, die Langversion kann am Ende des Beitrages zusammen mit weiterem Dokumentationsmaterial heruntergeladen werden.

Kulturelle Bildung kann – insbesondere vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie – Kindern und Jugendlichen dabei helfen, ein geglücktes Leben zu führen (in seiner persönlichen wie in seiner gesellschaftlichen Dimension). Sie unterstützt Fähigkeiten, die für eine Rückkehr in den sozialen (Schul-)Alltag wichtig sind und vermittelt, dass Lernen auch anders und ohne Druck funktionieren kann. Doch wie erreicht man Kinder und Jugendliche überhaupt? Wie gewinnt man sie für die Künste und andere Herangehensweisen an die Welt? Und wie lassen sich vorhandene Strategien verschiedener Institutionen kultureller Bildung teilen, übertragen und gemeinsam nachhaltig weiterentwickeln? Aufbauend auf den Ergebnissen der Publikumsbefragung 2020 (siehe Download-Bereich unten), nahm die Offensive Tanz für junges Publikum diese Fragen unter drei Schwerpunktthemen in den Blick.

(Tanz-)Kunst strukturell verankern?
Tag 1: Kunst – Bildung – Schule

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Bei der Frage, wie Kinder und Jugendliche überhaupt mit den Darstellenden Künsten und dem Tanz im Besonderen in Berührung kommen, spielen Erzieher:innen und Lehrer:innen eine entscheidende Rolle. Besuche am Theater und die Programmauswahl sind oftmals durch ihre individuelle Motivation und Vorlieben geprägt. Neben Eltern und gleichaltrigen Multiplikator:innen (sogenannten „Peers“) sind sie daher so etwas wie Wegbereiter:innen und Türöffner:innen für kulturelle und damit auch gesellschaftliche Partizipation.

Wo sich der Tanz (im Lehrplan) versteckt

Claudia Steinberg, Professorin für Tanz und Bewegungskultur und Leiterin des gleichnamigen Instituts an der DSHS Köln, beleuchtete in ihrem Impulsvortrag Realitäten, Hindernisse und Bedarfe bei der Integration von Tanz im schulischen Bereich und in der Frühkindlichen Bildung. Als wesentliches Ergebnis stellte Steinberg heraus, dass sich Tanz insbesondere in Querschnittsthemen der sogenannten ästhetischen Fächer wiederfinde. Diese hätten im Bildungssystem eine Sonderstellung, ihre Gegenstände (Bewegung, Musik etc.) benötigten besondere Rahmenbedingungen und Vermittlungssettings.

Tanz implementieren – Lücken, Modelle, Ideen transparent machen

Wie sich im Laufe der Diskussionen herausstellte, ist der Stellenwert des Tanzes in der Gesellschaft – auch im Vergleich zu allen anderen, nicht-darstellenden Kunstsparten – immer noch zu gering. Im Gegensatz zu Musik und zu Bildender Kunst etwa mangelt es hier ganz klar an einer Lobby. Für die Verankerung von Tanz in der Schule brauche es daher einen gleichberechtigten Blick auf alle Disziplinen der darstellenden Künste, so Uta Meyer, Projektleiterin bei explore dance. Es stellte sich vor diesem Hintergrund auch die Frage, wie leicht es sei, über die Verwaltung etwas für den Tanz zu erreichen. Oliver Uden, Fachreferent für das Fach „Theater/Darstellendes Spiel“ in der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, verwies auf die sogenannten Einheitlichen Prüfungsanforderungen (EPA), über die alle Abiturprüfungen im Fach „Darstellendes Spiel“ bundeseinheitlich in der Kultusministerkonferenz geregelt seien. Dort gäbe es einen expliziten Hinweis darauf, dass performativ gearbeitet werden soll. Als wesentlich im Kontext einer gewünschten, stärkeren Implementierung von Tanz im Bereich Kulturelle Bildung wurde zudem der Aspekt der „Selbsterfahrung“ genannt. Das eigene Erleben von Tanz wurde nicht nur für bereits praktizierende Lehrer:innen und Schulleiter*innen als wichtig erachtet, sondern auch für Lehramtskandidat:innen. Eine Schwierigkeit auch hier: die fehlende Anerkennung gegenüber dem Tanz im Vergleich zu anderen Kunstsparten sowie beständige Fördermöglichkeiten und eine erfolgreiche kontinuierliche „systematische Zusammenarbeit“ (zwischen Schulen und Kulturinstitutionen).

Auf eine Problematik innerhalb des Verhältnisses Schule und Kunst machten Jugendliche der „Jungen Stimme“ aufmerksam und griffen dabei einen von ihnen in der Diskussion vermissten Aspekt auf: Im Allgemeinen werden Schule und Kunst als Gegensatzpaar verstanden. In ihrer Kombination werden sie mit Begriffen wie „Pflicht“ und „Freiwilligkeit“ assoziiert. Anders gefragt: Sollte Tanz, sofern als Schulfach gedacht, bewertet werden? Oder sollte er als ein benotungsfreies, ergänzendes Angebot an Schulen bestehen?

Strategien kultureller Bildung nachhaltig gestalten
Tag 2: Kunst – Freizeit – Teilhabe

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Kulturelle Bildung findet nicht nur an Schulen statt, sondern auch in der Freizeitgestaltung von Kindern, Jugendlichen und Familien. Wie aber erreicht man diese in ihrem privaten Umfeld? Und wie kann wirkliche Teilhabe, Chancengleichheit und Diversität ermöglicht werden?

Hochkultur und „Graswurzelbewegung“

Zu Beginn des zweiten Tages stand die Frage im Raum, ob große Institutionen in puncto Erreichbarkeit bessere Startbedingungen als kleinere Initiativen haben. Als problematisch im Verhältnis zwischen „großen“ und „kleinen“ Einrichtungen erweisen sich vor allen Dingen festgefahrene Sichtweisen aufeinander. Katja Frei, Leiterin Education & Outreach bei den Berliner Philharmonikern berichtete diesbezüglich von ihren Erfahrungen. So habe sie oftmals erlebt, dass größere Institutionen sich viel mehr hinterfragten, aber trotzdem schneller am Pranger stünden als kleinere, die ihre bewährten Praktiken oftmals nur fortführen wollten. Hier mangele es an einem produktiven Austausch auf beiden Seiten. Voraussetzung für solch eine gelungene Kooperation sei Commitment.

Dialoge entfachen statt Botschaften senden

Um Kindern und Jugendlichen einen gelungenen Zugang zu Kultureller Bildung zu ermöglichen, müssen bestehende Hierarchien und Machtverhältnisse aufgelöst werden. Hierfür braucht es vor allem Zeit (im Sinne von Kontinuität) und Raum (im Sinne einer selbstbestimmten Teilhabe). In der Praxis heißt das: „Man sollte Kindern möglichst viele Möglichkeiten geben, Bestimmende zu sein und sie in alle Positionen der künstlerischen Produktion einbinden“, so Corinne Eckenstein, Künstlerische Leiterin am Dschungel Wien – getreu dem Motto: Nicht etwas FÜR Kinder, sondern MIT Kindern tun. Community Arbeit und eine direkte Ansprache der jungen Zielgruppe sind hierfür das A und O und funktioniert laut den Diskussionsteilnehmenden besonders gut über gleichaltrige Multiplikator*innen (Peers), FSJler:innen, Praktikant:innen und andere Personen. Diese bieten durch einen entsprechenden Zugang bzw. durch ihre Nähe zur Zielgruppe Möglichkeiten, dass sich Kinder und Jugendliche gut mit ihnen identifizieren können.

Kulturell binden statt bilden

Orte der Darstellenden Künste für die Jungen sind laut Livia Patrizi – die am zweiten Tag des Symposiums als Gast teilnahm – deshalb nicht nur Produktionsorte, sondern immer auch Orte kultureller Öffentlichkeit, an denen unterschiedliche Milieus zusammenkämen. Patrizi schlug deshalb vor, diesbezüglich von „Orten kultureller Bindung“ statt von „Orten kultureller Bildung“ zu sprechen. Dabei betonte sie das wechselseitige Verhältnis solcher Orte zur Gesellschaft und das darin liegende Potenzial, Differenzen aushalten zu können.

Gewusst wie! Off- und Online Potenziale gleichermaßen nutzen
Tag 3: Kunst – Kommunikation – Digitale Medien

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Öffentlichkeitsarbeit trägt wesentlich dazu bei, ein Publikum zu erreichen. Welche Chancen und Risiken birgt die zunehmende Einbindung digitaler und sozialer Medien in diesen Arbeitsbereich? Und durch welche Online-Strategien fühlen sich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene besonders gut angesprochen?

Partizipation erhalten

Zunehmende Digitalisierungsprozesse in allen Lebensbereichen lassen sich nicht erst seit Corona beobachten und doch hat die Pandemie die Verlagerung in den digitalen Raum noch einmal wesentlich angeschoben. Aus dieser „Zeitenwende“ erhoffte sich Gabi Dan Droste, trotz kritischer Vorbehalte, Chancen für neue Formate und sprach sich für eine aktive Mitgestaltung solch einer ins Ungewisse führenden Übergangsphase aus. Es gelte einen Umgang damit zu finden und flexibel zu bleiben, meint die künstlerische Leiterin des FELD – Theater für junges Publikum. Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang: Nicht nur einfach etwas zu streamen, sondern die partizipative Arbeit aufrecht zu erhalten. Kinder und Jugendliche miteinzubeziehen und ihren Emotionen Raum zu geben, sei dabei in den letzten Monaten unabdingbar gewesen, ergänzte Ciprian Marinescu, Dramaturg am Jungen Tanzhaus NRW.

Digitale Medien: Verlust oder Zugewinn?

Jede Kommunikation über ein bestimmtes Medium bringe die Begrenzung des Mediums bereits mit sich, so die Erfahrung von Frank Schmid. Der renommierte Tanzkritiker und Journalist moderierte auch am dritten Tag durch das Symposium-Programm und stellte dabei die Frage, ob durch die Vermittlung über ein bestimmtes Medium Inhalte verloren gingen. Marie Kube, Sprecherin und Gesicht von Jung und Artig – junge Freund*innen der Berlinischen Galerie, sah hier kein Risiko. Es gehe um den Aspekt der Erreichbarkeit und die Frage, was für einen Zugang zu Kunst man überhaupt schaffen wolle – über harte Fakten oder über Impressionen, Aneignungen und Assoziationen. Social Media Arbeit sei für sie dabei mehr ein Instrument zeitgemäßer Vermittlungsarbeit, denn ein Marketing-Tool. Judith Westphal, Mitarbeiterin in Marketing & Kommunikation mit Schwerpunkt Online am Jüdischen Museum Berlin ergänzte: Gerade im Museumskontext hätte sich eine eher spielerische Vermittlung von komplexen Inhalten aus verschiedenen Perspektiven als gut erwiesen. In der kontinuierlichen Öffentlichkeitsarbeit gehe es nicht darum, alles zu kommunizieren, was möglich ist. Die Informationen sollten „snackable“ bleiben. Letztendlich waren sich alle Diskussionsteilnehmenden einig, dass je nach Ausrichtung einzelner Institutionen, individuelle Lösungsansätze gefunden werden müssen. Es sollte keine Entweder-Oder-Haltung in Bezug auf Off- und Online-Strategien herrschen.

Downloads
Langversion des Berichtes von Christine Matschke
Ergebnisse der Publikumsbefragung 2020
Grafic Recording
Video-Dokumentation auf YouTube
Video-Dokumentation auf Vimeo