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Offensive Tanz

© David Beecroft

© David Beecroft

Tanzbotschafterin Céline

2 Tage unter Profis

Céline war beim intergenerationellen Fachaustausch "Die Grenzen verwischen" dabei

Anfang März fand der Fachaustausch "Die Grenzen verwischen: Auf der Suche nach intergenerationellen Formen im Tanz" des Theater o.N. statt. Unsere Tanzbotschafterin Céline hat sich unter die Fachbesucher:innen gemischt und für uns aufgeschrieben, was sie erlebt hat.

Wenn ihr selbst Tanzbotschafter:in werden wollt, erkundigt euch hier über unsere Ausschreibung.

2 Tage unter Profis

2 Tage voller neuer Eindrücke
2 Tage voller neuer Ideen
2 Tage voller neuer Lösungsansätze
und 2 Tage voller Angeregungen und Austausch

Umgeben von Leuten aus ganz verschiedenen Branchen durfte ich in eine neue Welt eintauchen und mich einfach treiben lassen. Meinen Stift und Papier immer in der Hand, damit ich direkt alles mit notieren konnte. Eine kleine Reizüberflutung durch die ganzen unterschiedlichen Ansichten, aber dennoch eine sehr angenehme und entspannte Atmosphäre. Ich habe mich direkt willkommen gefühlt und durfte ein Teil von ihnen werden. Das Küken, wie man es gerne sagt, durfte ich sein. Eine junge Perspektive umgeben von Leuten, die schon mitten im Geschehen sind.

Eine interessante Reise war das für mich. Am ersten Tag qualmten die Köpfe über verschiedenen Fragestellungen und am zweiten Tag durfte ich selber körperlich entdecken, was es heißt, die Grenze zu verwischen zwischen Kindern und Erwachsenen. Die Mischung war super.

Die Grenzen verwischen. Fachaustausch
Künstler:innengespräch mit Alfredo Zinola, Isabelle Schad, und Nir de Volff. © David Beecroft

Tag 1

Hier ging es um die Frage, ob und wie Künstler:innen die verschiedenen Altersangaben in den künstlerischen Prozess miteinbeziehen. Und darum, was es bedeutet, wenn wir Stücke für „all ages“ produzieren? Schaffen wir das Genre Theater/Tanz für junges Publikum ab, wo wir doch solange dafür „gekämpft“ haben? Um Anerkennung, um Ressourcen etc.

Ich konnte sehen, wie intensiv sich alle Gedanken darüber gemacht haben und es wurde deutlich, dass dieses Thema spartenübergreifend ist. So abgetrennt die Szenen Theater und Tanz wirken, desto mehr sind sie eigentlich verbunden. Die gleichen Fragen und die gleichen Probleme.

Das Wort Verantwortung fiel ganz oft in dieser 4-stündigen Tagung. Wer hat überhaupt die Verantwortung oder an wen geben wir die Verantwortung ab? Wie gestaltet man ein Stück, damit der erste Geschmack mundet und man Lust hat weitere Bissen zu nehmen? Vertrauen in den Prozess und in die Arbeit schaffen, damit man mit dem Publikum auch ein Vertrauensverhältnis eingehen kann.

Drei Wörter, die es sehr gut zusammengefasst haben und die ich direkt notiert habe, sind:

Dramaturgie des Zuschauerraums

Ich glaube das erklärt sich von selber und war für mich perfekt formuliert.

Außerdem ist das Theater ein Ort der Begegnung. Wenn ich ins Theater gehe, dann möchte ich ein Erlebnis haben und auch emotional berührt werden. Kinder wollen auch ihre eigenen Erlebnisse und Erfahrungen sammeln, aber teilweise werden sie darin gebremst durch äußere Einflüsse.

Ein Theater ist ein Raum der Entfaltung. Wir Erwachsenen nutzen ihn für uns. Warum geben wir den Kindern nicht auch die Chance? Wir versuchen sie zu beschützen oder wir wollen, dass ein Besuch perfekt verläuft. Aber nichts ist perfekt und das ist auch gut so.

Ich beobachte das selber, wenn ich in einer Vorstellung sitze mit vielen Kindern, dass sie ihre eigenen Interpretationen haben und manche Situation anders fühlen und erleben. Aber davon kann ich so viel schöpfen. Sie gehen nicht so verkopft in eine Vorstellung. Sie gehen komplett „leer“ in die Performance, während wir vorher alles durchlesen wollen und alles am besten schon vorher wissen wollen. Warum orientieren wir uns nicht einfach mal an den Kindern?

Der Austausch war für mich sehr sehr spannend und aufschlussreich. Ich wurde sogar gefragt, ob es langweilig für mich war. Ich kann nur sagen: Zu 100% nein. Ich konnte so viel mitnehmen und lernen. Über manche Punkte werde ich auch noch nachdenken und meine eigenen Gedanken machen. Ein stetiger Prozess.

>> Mehr Informationen zu den Fragestellungen und Teilnehmenden des Fachaustauschs

Luft von Nir de Volff
"Luft" von Nir de Volff. © Bernhard Musil

Tag 2

Am nächsten Tag, beim Workshop "Ich-du-du-Ich: Künstlerisches Arbeiten auf Augenhöhe" mit dem Choreografen Alfredo Zinola, tanzten wir zusammen mit Eltern und ihren Kinder oder eben als Erwachsene ohne Kinder. Wir durften dabei wieder zum Kind werden und waren eingeladen mitzumachen und zu beobachten.

Zum Beispiel, wie die Kinder die komplette Kontrolle über ihre Eltern übernehmen durften. Für die Eltern war das keine leichte Aufgabe. Schließlich ist das eigene Kind das kleine Schäfchen, das man beschützen und behüten möchte. Interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Kinder damit umgingen.

Am Anfang ruhige Zurückhaltung und am Ende reges Mitmachen und Mitdenken.

Die Kinder haben gemerkt, dass sie in den Fokus gerückt sind und jetzt ihr Platz war zu Scheinen.

Die einfachste Aufgabe, wie es zumindest die Erwachsenen sagen würden, bestand darin, mit einem Partner Hand in Hand durch den Raum zu laufen und Punkte zu finden, die interessant erschienen und diese zu erkunden. Während die meisten Erwachsenen nur einfache Dinge wie Wände, Lampen oder Punkte auf dem Boden erkundeten, gingen die Kinder viel neugieriger und spielerischer durch den Raum. Für sie wurden unscheinbare Socken oder Flaschen und die Tribüne interessant.

Eine spannende Erkenntnis für mich, die mich zum Nachdenken angeregt hat. Sehen wir Erwachsenen die kleine Dinge nicht mehr bewusst oder wollen wir sie nicht mehr sehen, weil sie so „normal“ für uns sind? Haben wir das Spielerische verloren?

Nachdem wir den körperpraktischen Teil gemacht haben, gingen wir über in den Austausch. Dabei wurden differenzierte Sichtweisen erläutert und kleine Momente, die besonders waren, hervorgehoben. Auf kleine Zettel schrieben wir kurze Stichpunkte, die wir beobachtet haben und in den meisten Punkten waren wir uns alle einig.

Die wesentlichsten Punkte für mich waren folgende:

  1. Gegenseitiges Vertrauen wurde gestärkt – Man konnte klar sehen, wie durch die Übungen mit geschlossenen Augen die Beziehung Eltern-Kind nochmal ganz anders dargestellt wurden ist. Jeder musste sich auf den anderen verlassen. Dies fällt einen mit einem anderen Erwachsenen leichter, weil man sich mehr austauschen kann, aber Kinder können dies genauso. Außerdem wurde die Bindung nochmal mehr gestärkt, weil man im realen Leben nicht in einem safe space ist und tanzt.
  2. Unterschiedliche Sensitivität – Spannend für mich zu sehen, wie ein Kind Berührungen ansetzt. Eher sanft oder doch eher etwas ruppig.
  3. Bewusstsein für den Raum und die Mitmenschen – Eine klare Entwicklung war zu erkennen. Am Anfang waren die Kids etwas verloren in diesem großen Studio, aber nach mehreren Erkundungen konnte man sehen, wie sie ihr Umfeld bewusst mitbekommen haben
  4. „Machtposition“ des Erwachsenen wird abgelöst vom Kind – Weil die Kinder die Verantwortung übernommen haben, mussten die Eltern versuchen alles mal fallen zu lassen und sich den Umständen anzupassen. Bewusst die Kontrolle abgeben und nicht nachdenken, was alles passieren kann.

Für mich waren es zwei sehr gelungene Tage mit dem Abschluss von dem Tanzstück „Luft“ und dem anschließenden Gespräch. Ich habe jetzt wieder neuen Input bekommen, über den es sich lohnt weiterzudenken.

von Céline Rose